Verlagsjubiläum: Wir werden 30!

Aktuelles | | Lesezeit: 7 min

Im Oktober jährt sich die Gründung des Männerschwarm Verlags zum 30. Mal. Für uns ein Grund, Bilanz zu ziehen und gleichzeitig in die Zukunft zu blicken.

„Die Tüte ist ziemlich bunt“: Trotz Sachbuch-Schwerpunkt sind bei uns auch Romane und Comics im Programm – zunehmend auch digital

1992: Die WHO streicht Homosexualität aus ihrer International Classification of Diseases (ICD), der LSVD fordert mit der „Aktion Standesamt“ medienwirksam das Eherecht für gleichgeschlechtliche Paare, in den USA feiern Schwule bei den Präsidentschaftswahlen die Ablösung des anti-homosexuellen George Bush senior durch Demokrat Bill Clinton. Ach ja, und dann erschien auch noch der Ralf-König-Comic „Bullenklöten“. Unter dem Label Männerschwarm Skript – das zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Comics streng genommen eher eine spontane Idee der Betreiber des schwulen Hamburger Buchladens Männerschwarm war als ein richtiges Label. Aber auch das änderte sich noch in diesem Jahr.

Das Debüt: „Schwule Biedermänner“

Im Oktober 1992 erfolgte die offizielle Gründung des Männerschwarm Skript Verlags durch Joachim Bartholomae, Detlef Grumbach, Hajü Köster und Tobias Völker. Das erklärte Ziel des Projekts war – wie es in der Gründungserklärung formuliert wurde –, sich „an kritischen Reflexionen, an Impulsen und Visionen“ bezüglich „‚Normalität‘ im schwulen Alltag, Akzeptanz und Präsenz in der Öffentlichkeit“ abzuarbeiten. Den publizistischen Anfang machte das heute längst vergriffene Sachbuch „Schwule Biedermänner“ von Harald Rimmele, in dem eine grundlegend andere Haltung zum Thema Eherecht für homosexuelle Paare vertreten wurde, als sie der LSVD in „Aktion Standesamt“ postulierte. Nämlich dass die „Homo-Ehe“ als Anbiederung an den Hetero-Mainstream gar nicht erstrebenswert sei. Eine These, die in der queeren Community auch nach der Einführung der sogenannten „Ehe für alle“ im Jahr 2017 weiter diskutiert wird, und die im Zuge aktueller Identitätsdebatten neue, alte Aktualität erfährt. Sie mag als Indikator dafür gelten, dass die Relevanz des Verlagsauftrags noch heute, 30 Jahre nach der Gründung, gegeben ist. Aber erst mal ein kurzer Rückblick.

Die „Kaufempfehlung“ von ganz oben

Auch wenn Männerschwarm Skript zunächst als Sachbuch-Schmiede gedacht war, erfuhr der Verlag seinen ersten großen Aufmerksamkeitsschub nicht durch Rimmeles „Biedermänner“, sondern durch die erwähnten „Bullenklöten“. Weil Ralf Königs Bauarbeiter-Bilderballade in Bayern als zu explizit sexuell empfunden wurde, beantragte das dortige Landesjugendamt 1993, den Comic auf den Index zu verbannen (zur queer.de-Hintergrund-Story). Es folgte ein Urteil der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften in Bonn, das der Indizierung zwar eine Absage erteilte, aber ein so breites Medienecho erfuhr, dass der Name Männerschwarm Skript dadurch schlagartig auch über die schwule Zielgruppe hinaus wahrgenommen wurde. Die FAZ schrieb damals, das Urteil lese sich „wie eine Kaufempfehlung“. Für den jungen Verlag ein medialer Volltreffer.

Debatten nicht nur begleiten, sondern gestalten

Aber „Skandal“ hin oder her, die eigentliche Motivation der Männerschwarm-Verleger blieb, an eine Tradition anzuknüpfen, die in Deutschland anno 1975 mit der Gründung des Verlags rosa Winkel – der ersten deutschen Publikationsstätte mit schwuler Programmatik – begonnen worden war. Sie wollten eine Diskutierfreude (wieder) beleben, die nach zehn Jahren Aids-Krise und einer gewissen Lähmung in der Schwulenbewegung ins Hintertreffen zu geraten drohte. Anders als bei thematisch ähnlich gelagerten Verlagshäusern (neben dem Verlag rosa Winkel gab es inzwischen weitere auf schwule Sujets spezialisierte Anbieter wie Förster Media, Bruno Gmünder und Albino) sollten Debatten hier nicht nur begleitet, sondern auch gestaltet werden. Demzufolge wurden nach „Schwule Biedermänner“ weitere Sachbücher namhafter Wissenschaftler wie Rüdiger Lautmann („Der Homosexuelle und sein Publikum“) und Martin Dannecker („Vorwiegend homosexuell“) veröffentlicht und im Lauf der Jahre unterschiedliche Sachbuchreihen wie die Werkstatt-Texte der SchwulLesbischen Studien Bremen, die „Edition Waldschlösschen“, „Queer Lectures“ und „Invertito – Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten“ ins Leben gerufen. Mit dem herausragenden Band „Homosexuelle Männer im KZ Sachsenhausen“ von Andreas Sternweiler und Joachim Müller wurde ein vergriffenes Standardwerk wieder zugänglich gemacht, „Schwule Schurken“ von Eric Walz beleuchtete die finsteren Gesellen der homosexuellen Historie schon zehn Jahre bevor Huw Lemmey und Ben Miller ihren jüngst so gehypten Top-Seller „Bad Gays“ herausbrachten, der in weiten Teilen wie ein Neuaufguss von „Schwule Schurken“ anmutet (siehe Axel Krämers queer.de-Besprechung zum Thema). Auch die Männerschwarm-Verleger, deren Kreis sich nach dem Start als Quartett recht bald auf das Duo Bartholomae und Grumbach reduzierte, brachten eigene Bücher heraus, wobei Grumbach vor allem gesellschaftspolitische Themen aufgriff („Die Linke und das Laster“, „Was heißt hier schwul?“, „Demo für alle“), während Bartholomae in Bänden wie „Das Wunder Winckelmann“ und „Aschenbachs Vermächtnis“ literaturhistorische Themen bearbeitete.

Von Michael Carson bis zu Leopold von Sacher-Masoch

Genauso wenig wie man bei Männerschwarm auf Kommerzialität schielte, unterwarf man sich einem statischen Portfolio-Korsett. Das Ganze war ein typisches Neunziger-Jahre-Unternehmen: unverzagt, kurzentschlossen und immer auf der Suche nach der nächsten Herausforderung. Es lebte vom Enthusiasmus seiner Macher und deren Bereitschaft auf Impulse der schon bald sehr treuen Leserschaft zu reagieren. So dauerte es nicht mal zwei Jahre, bis das Sachbuch-Konzept durch den ersten Fiction-Titel erweitert wurde: die deutsche Übersetzung von Michael Carsons Roman „Sucking Sherbot Lemons“ unter dem Titel „Das klebrige Glück der Süße“. Wenn man so will, war der erste Satz des Klappentextes sinnbildlich für das Programm, mit dem Männerschwarm in den folgenden Jahren die Leser*innen erfreute: „Die Tüte ist ziemlich bunt.“ Auf Carson folgten weitere Übersetzungen als deutsche Erstausgaben wie Jossi Avnis „Der Garten der toten Bäume“, Charles Jacksons „Die Niederlage“, Edmund Whites „Hotel de Dream“, Paul Russells „Brackwasser“ und Matthew Griffins „Im Versteck“. Weiterhin wurden Klassiker von Herman Bang („Hoffnungslose Geschlechter“) und Leopold von Sacher-Masoch („Die Liebe des Plato“) neu aufgelegt und mit der Übernahme der Bibliothek rosa Winkel im Jahr 2001 eine historische Sparte integriert. Ein illustrer Stamm deutschsprachiger Autoren entstand außerdem, unter ihnen Marcus Brühl, Walter Foelske, Detlev Meyer, Rolf RedlinPeter Rehberg und Michael Sollorz.

„Was ist schwule Kultur?“

Als die Hamburger Männerschwarm GmbH sich im September 2018 mit dem Berliner Unternehmen Salzgeber zusammentat und die Salzgeber Buchverlage GmbH aufbaute, besann man sich zugunsten einer klaren Profilierung derer verschiedener Labels – Albino Verlag (Belletristik), Salzgeber (Fotobuch und Kunst), Bruno Books (Erotik) – auf das Ursprungs-Konzept von 1992 zurück. Seitdem steht das Sachbuch wieder im Mittelpunkt. Die Basisfrage, die der Programmgestaltung zugrunde liegt, bringt der Titel eines im vergangenen Jahr bei Männerschwarm erschienenen Essays von David M. Halperin auf den Punkt: „Was ist schwule Kultur?“ Derzeit sind neue Bände in Vorbereitung, die u. a. das Bild von Schwulen in der deutschen Nachkriegsliteratur, aber auch die Männerschwarm-Geschichte als solche zum Thema haben. Weiterhin hat mit dem jüngst erschienenen E-Book von Bruno Vogels „Alf“ die Digitalisierung vergriffener Titel aus der Bibliothek rosa Winkel begonnen, die in den kommenden Monaten stetig vorangetrieben werden wird.

Die Königskategorie und der Generationenwechsel Dogmatisch soll der neue-alte Sachbuch-Schwerpunkt aber auch jetzt nicht verstanden werden. So hält zum Beispiel der Mann, der mit „Bullenklöten“ wesentlich zum starken Start des Männerschwarm Verlags beitrug, dem Haus bis heute die Treue. Ralf König brachte im Laufe der Jahre neben seinen Rowohlt-Blockbustern immer wieder ausgewählte Lieblings-Projekte bei Männerschwarm heraus, darunter Kult-Alben wie „Super Paradise“ und „Suck my Duck“ sowie die Reihen „Barry Hoden“ und „Roy & Al“. Auch die Cover für die Gran-Canaria-Romane von Elvira Klöppelschuh und Sebastian Castro (sozusagen außer Konkurrenz laufende Männerschwarm-Dauerbrenner, queer.de berichtete) stammen von König. Mit ihm schließt und erweitert sich der Kreis. Weiterhin wurde bei Männerschwarm ein Generationenwechsel vollzogen, den Bartholomae und Grumbach in den letzten Jahren schrittweise mit dem Verleger der Salzgeber Buchverlage Alexander Hamann auf den Weg brachten. Sie stehen ihm in Sachen Männerschwarm aber weiterhin beratend zur Seite. Nicht zuletzt um der alten Ideale willen. Denn die schwule Welt ächzt im Jahr 2022 im Prinzip immer noch genauso unter anti-homosexuellen Paragraphen und Politikern sowie der Zerstrittenheit der sogenannten Community wie 1992. Der Bedarf „an kritischen Reflexionen, an Impulsen und Visionen“ ist also nach wie vor gegeben. Für uns ein Grund weiterzumachen. Jetzt eben mit dem Prädikat 30+.

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