Erinnerung, Würde und Gerechtigkeit
Am 27. Januar wird zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust den über sechs Millionen Opfern der Schoah gedacht. Ein wichtiger Punkt ist dabei auch, den Berichten Überlebender zuzuhören. Einen solchen lieferte Walter Guttmann im Edition-Waldschlösschen-Band „Ich wollte es so normal wie andere auch“
„Heute gedenken wir den Opfern des Holocaust, eines Verbrechens von schockierender Unmenschlichkeit im Rahmen dessen sechs Millionen Juden, sowie Roma und Sinti, Slawen, Menschen mit Behinderung, LGBT, Kriegsgefangene und Mitglieder von Anti-Nazi-Netzwerken aus ganz Europa ermordet wurden.“ Mit diesen Worten beginnt die Hohe Kommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen Michelle Bachelet ihre Rede zum International Holocaust Remembrance Day am 27. Januar 2022. Der Gedenktag wurde von den Vereinten Nationen 2005 anlässlich des 60. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz Birkenau am 27. Januar 1945 eingeführt.
Das Thema des diesjährigen International Holocaust Remembrance Day lautet „Memory, Dignity and Justice“ („Erinnerung, Würde und Gerechtigkeit“). Das Anhören und Lesen der Berichte von Zeitzeugen ist eine Möglichkeit, diesem Motto Rechnung zu tragen. Die Lebenserinnerungen von Walter Guttmann, die Michael Bochow und Andreas Pretzel im Jahr 2011 im Edition Waldschlösschen-Band „Ich wollte es so normal wie andere auch“ herausbrachten, sind ein solcher Bericht. Sie machen die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten aus Sicht eines schwulen Mannes nachvollziehbar.
Walter Guttmann wurde 1928 in Duisburg geboren, die Mutter starb 1937 an Krebs, der Vater 1938 nach seiner Entlassung aus dem KZ Sachsenhausen. Zusammen mit seinem jüngeren Bruder gelangte Guttmann zu einer jüdischen Familie in den Niederlanden, wurde 1943 in das niederländische KZ Westerbork deportiert, im Februar 1944 nach Bergen-Belsen überstellt. Sein jüngerer Bruder wurde aus den Niederlanden nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. 1945 kehrte Guttmann zunächst in die Niederlande zurück, schloss sich der zionistischen Jugendbewegung an und ging 1959 nach Israel. Zuletzt lebte er in einem niederländisch-israelischen Altenheims in der Nähe Tel Avivs. Er starb 2014.
In „Ich wollte es so normal wie andere auch“ erzählt Guttmann seine Lebensgeschichte als Patchwork-Existenz: jüdisch, deutsch, niederländisch und israelisch. Dass er schwul war und schon vor seiner Deportation ins KZ Westerborg und auch im Lager homosexuelle Kontakte hatte, gibt seinen Erinnerungen die seltene Perspektive des doppelt Verfolgten – auch wenn Guttmann wegen seines Jüdisch-Seins, nicht wegen seines Schwul-Seins deportiert wurde. Das Buch ist als PDF erhältlich.