Triumph und Niederlage: Zum 120. Geburtstag von Charles Jackson

Mit der literarischen Vorlage für den Billy-Wilder-Film „Das verlorene Wochenende“ schrieb Charles Jackson (1903-1968) Hollywood-Geschichte, mit „Die Niederlage“ den ersten US-amerikanischen Roman, der eine mannmännliche Liebe verhandelte. Am 6. April jährt sich der Geburtstag des Autors zum 120. Mal. Grund genug, sein „großes Coming-out“ wieder und neu zu entdecken.

Ein erfolgreicher Mann, eine kriselnde Ehe, ein Inselurlaub und ein junger Soldat, der ungeahnte Gefühle weckt – das sind die Zutaten von Charles Jacksons 1946 erschienenem Roman „The Fall of Valor“. Das Buch war in Amerika auf Anhieb ein riesiger Verkaufserfolg, der prominente Leser schlussfolgern ließ, dass Publikum und Kritiker*innen endlich bereit waren für das Thema Homosexualität in der Literatur. So notierte Klaus Mann kurz nach Erscheinen des Romans in einem Exposé: „Der Erfolg von Mr. Jacksons jüngst erschienenen Roman ‚The Fall of Valor‘ scheint darauf hinzudeuten, dass sowohl das Feuilleton wie das Lesepublikum die Bedeutung dieses Themas erkennen.“

Auch Thomas Mann hat das Buch damals gelesen und folgendermaßen kommentiert: „Es ist ein mutiges, schonungslos forschendes Buch, das ohne jede Spur gewagter Frivolitäten die Schwierigkeiten, Verlegenheiten und Ängste des Ehelebens und des Sexuallebens im Allgemeinen enthüllt, ohne unser Wissen um sogenannte Perversionen und Abweichungen zu verleugnen …“

Danach sollte es trotzdem noch mal 70 Jahre dauern, bis „The Fall of Valor“ von Männerschwarm-Mitgründer Joachim Bartholomae übersetzt wurde und 2016 unter dem Titel „Die Niederlage“ erstmals auf Deutsch erschien. Ein später Triumph. Der „lobenswerten ersten deutschen Übersetzung“ (Süddeutsche) attestierte unter anderem die FAZ, dass sie „überaus spannend, dicht und plastisch präzise“ erzählt sei, während der Freitag „Ein großes Coming-out“ darin sah und queer.de das Ganze „meisterhaft“ fand.

Zur Story: John Grandin ist ein erfolgreicher Hochschullehrer mit Eheproblemen. Ein Urlaub auf Nantucket ohne die Kinder soll deshalb frischen Wind in die Beziehung bringen. Es ist Juni 1943, Amerika befindet sich seit zwei Jahren im Krieg, und Nantucket ist voller Soldaten auf Heimaturlaub. Auf der Überfahrt zur Insel lernt Grandin durch Zufall Cliff Hauman kennen, einen jungen Captain der Marines. John ist vom naiven Charme des Offiziers bezaubert und merkt viel zu spät, in welche Richtung sich seine Gefühle entwickeln.

„Kurz vorm Einschlafen sah er durch halb geschlossene Augen, wie die vertraute Gestalt des großen Soldaten den Waggon betrat und auf ihn zukam. Als er Grandins Sessel erreicht hatte, geriet der baumlange Kerl ins Straucheln und musste sich mit der Hand am Gepäcknetz festhalten, um nicht gegen das Fenster zu prallen. In dieser Haltung sah er auf Grandin hinab und lächelte. Es war das umwerfendste Lächeln, das Grandin je gesehen hatte, und er war wie vom Donner gerührt. Als er sich gefangen hatte, war der Soldat schon fort.“

Über den Autor: Charles Jackson wurde am 6. April 1903 in Summit, New Jersey, geboren. Er arbeitete als Journalist und Buchhändler, bis er 1944 im Alter von 41 Jahren seinen ersten Roman veröffentlichte („Das verlorene Wochenende“), der sofort zum Bestseller wurde. Billy Wilders Verfilmung wurde mit vier Oscars ausgezeichnet. Jacksons zweiter Roman „Die Niederlage“ erschien 1946. Weitere ins Deutsche übersetzte Romane waren „Gezählt – gewogen“ (1948) und „Leben im Schatten der Nacht“ (1967). Jackson starb 1968 im Alter von nur 65 Jahren durch Suizid im New Yorker Chelsea Hotel.

Anlässlich des 120. Geburstags von Charles Jackson am 6. April 2023 empfehlen wir „Die Niederlage“ wieder und neu zu entdecken.