Verlagsprämie der Hamburger Kulturbehörde 2001

Über uns | | Lesezeit: 9 min

Dankesrede von Detlef Grumbach

„Yves Navarre hat einmal auf einem Kongress gesagt: Ich bin schwul. Ich bin Autor. Ich bin kein schwuler Autor. Seine Wort waren leider in den Wind gesprochen. Männerliebende Schriftsteller können sich drehen und wenden, wie sie wollen, ihre sexuelle Ausrichtung ist für die Heterosexuellen allemal ausdrucksstärker als ihre Werke. Ihre Literatur ist erst einmal schwul, und dann erst Literatur.“

Das war ein Zitat von Detlev Meyer – aus einer kleinen Rede zum 5. Geburtstag des MännerschwarmSkript Verlags, in der er sich auf seine leichtfüßige ironische Art mit diesem merkwürdigen Phänomen „schwulen Bücher“ auseinander gesetzt hat. „Promiskes Blättern“ nannte er seine Schnurre.

Schwule Bücher also. Das Schwule gibt es nicht ohne das Heterosexuelle. Was ist eigentlich ein heterosexuelles Buch? Die Frage wurde so noch nicht gestellt. Aber wer auf die Website des Buchladens Männerschwarm schaut, findet dort bei den Lieblingsbüchern Monat für Monat auch die Rubrik „Das gute heterosexuelle Buch“. So weltoffen und tolerant möchten wir dann doch sein. Andererseits stellt der Hamburger Sexualforscher Gunter Schmidt in Vorträgen und Büchern gelegentlich keck die Frage: Gibt es Heterosexualität?

Sei’s drum. Wir nennen uns kurz einen schwulen Verlag, wir nennen unsere Bücher schwule Bücher, haben in neun Jahren gut 100 Stück davon produziert und bekommen dafür heute eine Programmprämie der hamburger Kulturbehörde. Irgend etwas muss ja dran sein. Aber was? Die Bücher Thomas Manns galten eigentlich nie als „schwule Bücher“ und gelten es heute überwiegend auch nicht, es gab aber, als er sie schrieb, auch keine Schwulengruppen, die sie verkaufen wollten!

Als zu Beginn der siebziger Jahre in Berlin eine Gruppe von Schwulen einen Büchertisch an der Universität machen wollten, stellten sie fest, dass es kaum etwas zu verkaufen gab. Außer Klassikern oder doch sehr kaschierten schwulen Geschichten. Keine Literatur, die die aktuelle Lebenssituation literarisch oder theoretisch reflektierte, sich der Geschichte stellte, Fragen und Modelle für die Gegenwart lieferte. Aus diesem Dilemma entstand der erste schwule Buchladen in Deutschland, „Prinz Eisenherz“ in Berlin, und der erste schwule Verlag in Deutschland, der „Verlag rosa Winkel“. Seit fast 30 Jahren gibt es also dieses Engagement für schwule Literatur. In dieser Tradition bewegen wir uns, als Buchladen und Verlag, auch wenn zu Zeiten der Verlagsgründung 1992 die Situation mittlerweile eine andere war. Und wir werden heute, hier in Hamburg für unseren Beitrag dazu ausgezeichnet. Ausgezeichnet! Wenn man aber mal von Männerschwarm absieht und den Blick auf die 30 Jahre richtet, könnte man wagen zu fragen, ob eine solche Auszeichnung nicht überfällig war.

Wir haben viel erreicht, schrieben wir 1992 in der Erklärung, in der wir die Gründung unseres Verlags publik machten: „‚Normalität‘ im schwulen Alltag, Akzeptanz und Präsenz in der Öffentlichkeit, florierende Nischen. Doch es fehlt an kritischen Reflexionen, an Impulsen und Visionen. An neuen Antworten auf alte Fragen, an neuen Fragen an alte Antworten.“

Dem haben wir uns – ermöglicht durch den Verkaufserfolg von Ralf Königs Bullenklöten, noch vom Buchladen publiziert – verschrieben und haben als erstes Buch eine Studie von Harald Rimmele publiziert: „Schwule Biedermänner“. Sie beschäftigte sich mit dem Aufkommen und der Eigendynamik der Forderung nach der Homo-Ehe – ein gerade in Hamburg heute noch interessant zu lesendes Büchlein.

Zuletzt erschien Gary Schmidts Studie über Köppen, Andersch und Böll, über die ganz unterschiedliche, aber erstaunlich virulente Verknüpfung von Homosexualität und Nationalsozialismus in der deutschen Nachkriegsliteratur. Warum muss eigentlich ein Amerikaner kommen, um diesen weißen Fleck der Germanistik zu füllen? Das ist eine Frage am Rande. Dazwischen finden sich Bücher von so bekannten „Homo-Forschern“ wie Martin Dannecker, Rüdiger Lautmann oder Bernd Ulrich Hergemöller, erste Arbeiten von Hochschulabsolventen, dazu kamen die Bremer „SchwulLesbischen Studien“, das Jahrbuch für die Geschichte der Homosexualitäten „Invertito“, die Schriftenreihe der schwulen Akademie „Waldschlösschen“. Das Lexikon „Mann für Mann“ von Bernd-Ulrich Hergemöller ist übrigens gerade im Suhrkamp-Verlag als Taschenbuch erschienen – auch eine Würdigung unserer Arbeit – auf ganz andere Art.

Zur Literatur sind wir beinahe im Selbstlauf gekommen, sie ist uns aber mindestens so wichtig wie das Sachbuch: Wer einen Verlag gründet, bekommt Manuskripte zugeschickt, und manches muss man einfach drucken, wenn man bei Verstand ist – wie Bücher Detlev Meyers, Christoph Geisers, Walter Foelskes oder Michael Sollorz‘. Dazu kamen Übersetzungen aus dem Englischen, Amerikanischen, Französischen und Finnischen. Man müsse als Autor schwuler Bücher unter 50 Kilo wiegen, um im Feuilleton ernst genommen zu werden, hat Detlev Meyer mal sarkastisch gesagt und hat damit auf die Welle der Aids-Literatur angespielt, der er sich verweigert hat. Herve Guibert gehörte zu dieser Kategorie, zumindest, wenn man die Auswahl der hierzulande erschienenen Bücher zu Grunde legte. Da stirbt einer an Aids und schreibt darüber. Das ist doch interessant, so mögen Verlage und das Feuilleton gedacht haben. Dass es ein Leben und Schreiben vor dem Sterben gegeben hat, ein literarisch hochinteressantes, geistreiches und freches Werk, das publik zu machen und das eine oder andere in deutscher Sprache vorzulegen, das war einem schwulen Verlag vorbehalten.

Ein Schwerpunkt und besonderes Anliegen in der Literatur ist es uns aber, den Humus zu bereiten für eine lebendige deutschsprachige schwule Gegenwartsliteratur. Zu dieser Aufbauarbeit gehören vor allem die Sammelbände zum Literaturpreis der schwulen Buchläden. Aus dem Kreis der dort versammelten, meist jungen AutorInnen ist schon so mancher erster und zweiter Roman hervorgegangen. Marcus Brühl, der heute Abend hier lesen wird, hat sich an einer der Ausschreibungen beteiligt, hat eine Geschichte veröffentlicht und legt nun einen Coming-out-Roman vor, der sich wirklich auszeichnet:

Keine Ich-Perspektive oder Ich-Soße, kein: Wie hatte ich es schwer, aber wie toll habe ich meine Probleme gemeistert, keine Sozialpädagogik in halbwegs anständigen Deutsch, sondern ein frecher, selbstbewusster Roman aus ganz unterschiedlichen Perspektiven.

Hamburgs Zweite Bürgermeisterin Krista Sager hat sich aus Anlass der Preisverleihung des Literaturpreises der schwulen Buchläden in Hamburg gewünscht – so wörtlich: „dass diese Literatur Einzug hält in die Regale aller Buchhandlungen. So dass man eines Tages die Lupe beiseite legen kann – weil der schwule Alltag in der Literatur zum Literaturalltag geworden ist.“ Soweit Krista Sager.

Ich habe zu fragen gewagt, ob eine öffentliche Würdigung nicht vielleicht überfällig ist. Warum? Darum! Was Krista Sager sich wünscht, ist noch keine Realität. Es gibt Widerstände dagegen, dass es Realität wird. Und wir freuen uns, denn die Programmprämie, die wir heute für unsere Arbeit erhalten, kann helfen, diese Widerstände zu überwinden.

Diese Widerstände werden zuerst an den Büchern sichtbar, wobei ich gerne als Beispiel einen Suhrkamp-Titel nennen darf, weil wir zu diesem Haus und zu dem Autor gute und freundschaftliche Beziehungen unterhalten: Als Joachim Helfers Roman „Cohn und König“ erscheint, der eine schwule Liebes- und Lebensgeschichte erzählt, heißt es im Klappentext : „Joachim Helfer erzählt vom Unterwegssein. Sein Text ist eine ungewöhnliche Reise, von Los Angeles ins wiedervereinigte Berlin, (usw.), von der Gegenwart durch die Kindheit in die gemeinsame Zukunft, vom geliebten Jüngling zum erwachsenen Partner und Mann. Ein raffiniert und mit Witz erzählter Bildungsroman der anderen Art.“ Ungewöhnlich weshalb? Gemeinsame Zukunft mit wem? Von der anderen Art? Hier wird genauso mehr versteckt und kaschiert, als angedeutet, wie in der Politik, in der sich überzeugte Junggesellen um höchste Ämter bewerben. Insider wissen Bescheid, andere werden nicht verprellt. Denn der Verlag will das Buch ja verkaufen. Und ahnt zumindest, dass – so sehr der Handel und das Feuilleton nach Schubladen verlangen, um ihr unüberschaubares Sortiment verkaufen zu können – die Schublade „schwul“ zu einem Ausschluss aus dem Reich der Literatur führt. Chinesische Literatur – ja gerne. Wir sind zwar keine Chinesen, aber wer will denn immer nur den eigenen Spiegel vorgehalten bekommen? Gute Literatur widmet sich oft dem Außergewöhnlichen, dem nicht Normalen, fremden Welten. Aber schwule Literatur – nein danke, wir sind doch nicht schwul.

Wenn Helfers Buch bei Männerschwarm erschienen wäre, also erkennbar in einem schwulen Kontext und mit einem ehrlichen Klappentext, wäre er aber von Verena Auffermann wahrscheinlich nicht in der Süddeutschen Zeitung besprochen worden. Als Suhrkamp-Titel blieb es ihm nicht erspart: Verena Auffermann meint, dem biografischen Roman eines offenbar schwulen Autors entschuldigend bescheinigen zu müssen: „Doch er führt nicht ins Milieu der Stricher, nicht zu Abschweifungen ins Homosexuelle“, offenbar ohne zu merken, welche absurden Vorurteile hier transportiert werden. Und der Verlag druckt diese böse Entgleisung als Kaufanreiz auf die Rückseite der Taschenbuchausgabe.

Ihr seid ja selber Schuld, warum begebt ihr euch in das Ghetto, rufen uns die Wohlmeinenden immer wieder gerne entgegen, wenn sie unsere Zustandsbeschreibung als Klage auffassen. Wir klagen aber nicht. Wir reagieren auf eine Situation. Wir verlegen und verkaufen schwule Bücher solange es andere nicht mit der selben Selbstverständlichkeit tun. Vielleicht tun sie es ja jetzt, wenn sie merken, dass man damit sogar eine Programmprämie einheimsen kann. Was wir dann machen?

Dann verlegen wir entweder das gute heterosexuelle Buch oder begeben uns aufs Altenteil. Aber jetzt freuen wir uns erst mal über diese Prämie, die uns als Anerkennung unserer Arbeit wohl tut, die auch von unseren Lesern und in der heute so genannten gay community als Anerkennung und Würdigung begriffen wird. Hoffen wir nur, dass es der Rest der Welt oder bescheidener: des Literaturbetriebs, auch noch begreift und den Worten der Jury folgt.

Wir danken der Jury, die uns neben dem Cecilie-Dressler-Verlag ausgewählt hat, wir danken der Kultursenatorin Christina Weiß, die diese Prämie in Zeiten knapper Kassen weiter ermöglicht. Danke!

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