Nachruf auf Wolfram Setz

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Joachim Bartholomae erinnert an den Gründer der Bibliothek rosa Winkel

Wolfram Setz 1992 bei einem Seminar im Waldschlösschen / Foto: Detlef Grumbach

Wolfram Setz ist am 14. August 2023 im Alter von 82 Jahren in Hamburg verstorben. In Stralsund geboren, verbrachte er sein berufstätiges Leben in München, kehrte als Rentner jedoch schnell in den Norden zurück. Nach seinem späten Coming-out mit vierzig Jahren widmete er einen großen Teil seiner Freizeit der Schwulenbewegung, als Mitbegründer des Bundesverbands Homosexualität (BVH), als Mitarbeiter der schwulen Geschichtswerkstatt in München und des Schwulen Museums in Berlin, als Mitbegründer des Buchladens Max & Milian in München und last but not least als Mitarbeiter des Verlags rosa Winkel in Berlin und als Herausgeber der Bibliothek rosa Winkel (BrW), deren 81. Band er wenige Tage vor seinem Tod in den Druck gab. Bei jedem schwulen Event zwischen Flensburg und Pfronten war er anzutreffen, und er stellte sein enormes historisches Wissen jedem gern zur Verfügung, der darum bat. Besonders engagierte er sich für Gedenkprojekte zu Ehren Karl Heinrich Ulrichs, dessen Werke er in der BrW veröffentlichte.

Wolfram Setz persönlich kennenzulernen war nicht leicht. Ich traf ihn das erste Mal am Rande der Frankfurter Buchmesse im Jahr 1986, und seit seinem Umzug nach Hamburg waren wir praktisch Nachbarn, aber erst vor wenigen Jahren gelang es mir, ein wenig hinter die Fassade seines fast immerzu lachenden Gesichts zu schauen. Als ich ihm neulich sagte, er sei ohne Frage der verschwiegenste Mensch, den ich kenne, erwiderte er: „Wir waren uns in meiner Familie nicht grün.“ Da behielt man seine Gefühle lieber für sich. Grundlage seiner Zusammenarbeit mit dem Männerschwarm Verlag war es, dass ihm niemand in seine Buchprojekte hineinreden durfte, und selbst die Abstimmung über die Ankündigungstexte wurde oft ein Hauen und Stechen. Doch so sehr er die Eigenständigkeit seiner Arbeit verteidigte, so hilfsbereit war er in allen anderen Dingen. Sein Lebensstil war nahezu preußisch, er verbrauchte fast nichts für sich selbst, kam jedoch mit vollen Händen, wenn sich bei schwulen Projekten Finanzierungsprobleme auftaten. Wie die Software, mit der er seine Bücher setzte (Word Perfect), war auch sein Verständnis von Freundschaft und Solidarität sehr altmodisch. Nach der Umsiedlung nach Hamburg hatte er im schwulen Wohnprojekt in der Brigittenstraße eine Familie gefunden, die ihn bis zuletzt liebevoll begleitet hat.

Wolfram Setz war ein „weißer alter schwuler cis-Mann“, wie er im Buche steht, und sein Beispiel beschämt jeden, der diese Bezeichnung als Schimpfwort benutzt. Er hat entscheidend zur Entfaltung der schwulen kulturellen Infrastruktur beigetragen, aus der Überzeugung heraus, dass der Sinn schwuler Emanzipation vor allem darin besteht, uns des Beitrags der Schwulen zur deutschen Geschichte zu versichern. Die Bücher seiner BrW verkörpern insofern das immer wieder scheinbar unbedeutende Aufflackern schwulen Selbstbewusstseins. Die Kenntnis dieser Geschichte sollte uns, die wir es heute so leicht haben, lehren, unsere mühsam erkämpfte Freiheit zu verteidigen, auch gegen Feinde und Feindinnen aus den eigenen Reihen. Er selbst ließ sich in keine Schablone pressen, was schließlich zum Bruch mit manchen Einrichtungen führte, die ihm viel bedeuteten, wie dem Schwulen Museum oder der Akademie Waldschlösschen. Auch „sein“ BVH konnte schließlich der Konkurrenz des LSVD nicht standhalten.

Sein Vermächtnis, das ihn überdauern wird, ist insofern vor allem die wunderbare Bibliothek rosa Winkel, in die sein Herzblut und die ganze Sorgfalt seines historischen Sachverstands geflossen sind – und die Erinnerung seiner Person als eines freien Geistes, der auch dann standhaft blieb, wenn er ganz allein vor ein feindseliges Publikum treten musste, wie seinerzeit sein Idol Karl Heinrich Ulrichs vor den Deutschen Juristentag. Sein Tod reißt eine Lücke, die wir lange Zeit schmerzlich empfinden werden.

Joachim Bartholomae

Ein Interview, das Joachim Bartholomae 2019 mit Wolfram Setz führte, ist nachzulesen bei sissymag.de

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